Seine Rechte zuckte vor, w?hrend seine Linke alle Kraft aufbringen musste um die andere Hand zur?ckzuhalten. Die Schale vor ihm dampfte verf?hrerisch; es war eine Suppe aus Lauch und Zwiebeln, eine seltene K?stlichkeit an diesem Ort... niemand w?rde es merken... du k?nntest einfach sagen sie h?tten gar nichts zu essen gebracht... Sein Blick wanderte zu seiner eigenen, bis auf den letzten Tropfen ausgeleckten Sch?ssel. Ja, es war tats?chlich ganz leicht... er musste nur die Finger ausstrecken, die Schale an die Lippen f?hren und die k?stlich Warme Suppe hinunterschlucken... Suppe... warm... seine Finger wanderten zu einfachen Tonschale hin und verharrten f?r einen Moment, als der Blick des jungen Mannes zuf?llig seine eigene Kleidung streifte. Das rote Tatzenkreuz, das trotz all des Schmutzes und des Unrats auf seinem ?berwurf noch immer prangte, schien zu strahlen. Nur wenige Zentimeter waren seine Fingerkuppen noch von der dampfenden K?stlichkeit entfernt, als Jagon seine Hand zur Faust ballte und sich langsam davon abwandte. Nein, ermahnte er sich immer wieder selbst, so leicht brechen sie mich nicht? sie... mich... nicht... Hunger...
Tief gruben sich die Fingern?gel in den Handballen, so tief dass ein einsames rotes Rinnsal daraus hervortropfte. Hastig f?hrte der junge Mann die Hand an die Lippen, damit das Blut zumindest nicht unn?tz versickerte im Boden dieses H?llenlochs.
Bist du so stur, dass du lieber verhungerst als zu Essen? fragte ihn eine lautlose Stimme in seinem Kopf. ?Ruhe ?ber Zorn?, entgegnete Jagon stumm, ?Ehre ?ber Hass, St?rke ?ber Angst...? und wiederholte diese Worte immer und immer wieder. ?Ruhe ?ber... ?ber Zorn, Ehre ?ber Hass, St?rk... St?rke ?ber Angst...? Er hatte schon lange aufgeh?rt zu den G?ttern zu beten. Er konnte es nicht mehr h?ren, das Lied der vier Hohen Herren. Sie sprachen nicht mehr zu ihm, und Jagon wollte ihnen auch nicht mehr zuh?ren.
Wie lange waren sie nun schon hier drinnen? dein Bart, sagte eine der Stimmen, pr?fe es an deinem Bart.
Jagon betastete die dichten Haare die sein ganzes Gesicht ?berwucherten. Lange... zu lange... wie lange? Ein halbes Jahr? Ein ganzes? Zehn? Hundert? Was spielte das ?berhaupt f?r eine Rolle... es war egal wie lange sie schon hier waren; alles was z?hlte war, wie lange dieses Martyrium noch dauern w?rde, bis sie ihnen endlich einen gn?digen Tod gew?hrten. Zitternd rollte er sich zusammen und versuchte sich mit dem wenigen Stroh etwas zuzudecken. Es roch nach Exkrementen, nach Unrat und nach Verwesung, doch der junge Mann bemerkte es gar nicht mehr. Noch immer zitternd schloss er die Augen und versuchte zu schlafen.
* * *
Ketzerei! Habt ihr geh?rt, der alte Eregon von Lichtenfels ist noch keine zwei Wochen tot, und was fanden sie in seinem Nachlass? Furchtbar ist das, dass so ein guter Mann heimlich Angamon gehuldigt hat! Und dabei war er ja so beliebt bei den Leuten. Und dann dieser Orden, den er gegr?ndet hat und f?r dessen Blasphemie sie auch Beweise gefunden haben! Einfach furchtbar, ganz furchtbar. Aber statt sich davonzumachen und sich zu verkriechen, wie es diesem H?retikerpack gut zu Gesicht st?nde, stellen sie sich auch noch der Inquisition und beteuern ihre Unschuld. Guter Herr Astrael, das war wirklich eine gro?e Dummheit. M?ge uns die heilige Inquisition davor bewahren dass so etwas um sich greift! Wenn sie nur schnell ein Gest?ndnis aus den Bewahrern des Ordens herausbekommen...
* * *
Die Gittert?re ?ffnete sich quietschend, und zwei Wachen traten herein; zwischen ihnen eine leblose Gestalt, die sie achtlos zu Boden warfen. Jagon zuckte sofort hoch und musste mit aller Kraft die ihm noch blieb gegen den Impuls ank?mpfen, sich irgendwo in Richtung der Zellenwand zu dr?ngen, damit sie ihn nicht mitnahmen. Nicht schon wieder... Doch die beiden Wachen murmelten etwas unverst?ndliches, gaben dem am Boden Liegenden noch einige Tritte in die Seite und schlossen dann die Gittert?re hinter sich ab. Hastig stemmte Jagon sich hoch und kroch so schnell es sein abgemagerter K?rper zulie? zu dem Mann am Boden hin?ber. Unter der Anstrengung ?chzend drehte er ihn auf den R?cken und legte sich seinen Kopf in den Scho?. Wirre, pechschwarze Haare rutschten zur Seite und gaben den Blick frei auf ein graues, lichtloses Auge. Eine Narbe zog sich ?ber die linke Gesichtsh?lfte des jungen Mannes vor ihm. Mit vorsichtigen Fingern r?ttelte Jagon ihn an der Schulter, bis der Mann sein verbliebenes Auge aufschlug und zu ihm hinaufsah. ?Nicht... gebrochen...? brachte der junge Mann hervor. Jagon senkte fast wie unter Schmerzen den Kopf. ?Wie lange schaffen wir das noch, Decado, alter Freund...? Es ist sowieso alles verloren... sie sind tot, alle tot au?er uns... es gibt niemanden mehr f?r dessen Ehre wir k?mpfen m?ssen. Warum unterschreiben wir nicht einfach ihr Gest?ndnis und...? er lie? den Satz unvollendet. Decados Hand aber schoss hoch und krallte sich mit unerwarteter St?rke in das ehemals wei?e Gewand seines Freundes.
?F?r... die Toten... f?r die Toten... ich werde nicht... die Ehre des Ordens der Viereinigkeit... beflecken-? er hustete etwas Blut. ?...beflecken... und ich werde nicht Meister Escalimah und F?rst Eregon entt?uschen... nicht... entt?uschen... nicht... nicht...? er brach ab, und seine Hand fiel kraftlos herab. Gequ?lt griff Jagon nach der Suppenschale und begann damit, seinem Freund die hei?e Br?he einzufl??en. Es war die erste und einzige Mahlzeit dieses Tages, und Decados Schw?che bereitete ihm Sorgen. Besch?mt gestand Jagon sich ein, dass er nicht wollte dass Decado als erster starb. Er wollte nicht allein sein in dieser H?lle auf Erden; er wollte nicht als letzter Paladin sterben. Er wusste dass das selbsts?chtig war, doch irgendwie wusste er auch, dass er wahnsinnig werden w?rde wenn ihn nach allem was sie ihm bereits genommen hatten nun auch noch sein einziger Freund verlie?.
?H?tte ich nur ein Schwert...? murmelte er, ?dann w?rde ich... dann w?rde ich...? ja, was w?rde er dann? K?mpfen? Er konnte noch nichteinmal aufrecht stehen vor Schw?che, geschweige denn ein Schwert halten. Ein Schwert... ein Schwert? Da war etwas... ein Schwert? Sein Schwert? Katana... altes, rostiges Katana... es war zerbrochen... in zwei Teile gebrochen... wo war es? F?r einen kurzen Augenblick huschte ein Gesicht an seinem inneren Auge vorbei; wunderbare, fein geschnittene Z?ge, leuchtendes Haar, Augen aus denen das Wissen eines anderes Volkes sprach. Jagon versuchte diesen Gedanken, dieses wunderbare Bild zu halten, doch es zerrann wie Sand zwischen seinen Fingern.
Als er sicher war dass Decado unruhig, aber gleichm??ig atmete, lie? Jagon sich ersch?pft zur?ckfallen.
* * *
Stimmen. Geklirre. War es Stahl? Schwerter? Kampf... unter gro?er M?he hob Jagon den Kopf und starrte durch die Gitterst?be nach drau?en. Kampf... tats?chlich... zwei Wachen, am Boden... drei schwarze Ritter, Blut an den Schwertern... die Suche nach Schl?sseln; ein Kopfsch?tteln, dann das Auflegen von H?nden auf das Schloss und ein grauenhafter, roter, b?ser Lichtstrahl... Quietschen... die T?r schwang auf...
Zwei der M?nner postierten sich am Eingang, der dritte betrat hastig, aber ohne dass es gehetzt wirkte den Raum und beugte sich erst zu Decado. Als er dessen schwarzes Haar bemerkte erhob er sich wieder und schritt zu der zweiten am Boden kauernden Gestalt.
?Seid ihr Jagon, der Paladin vom Orden der Viereinigkeit??, fragte sie mit ausdrucksloser Stimme ? erst jetzt wurde offenbar dass es sich um eine Frau handelte. Jagon sah zu ihr hoch, sah auf das bluttriefende rote Schwert in ihrer Hand, und nickte langsam.
?Dann habe ich eine Botschaft f?r Euch. Mein Herr und Schwager ? Euer Onkel ? l?sst euch bestellen dass er Euch an seiner Seite w?nscht. Zweimal schon hat er nach Euch gerufen, zweimal hielt er sch?tzend seine Hand ?ber Euren Geist als Ihr in Gefahr ward. Dies ist das Dritte und letzte Mal dass mein Herr nach Euch schickt. Seid Ihr bereit mit uns zu kommen?? Jagon wollte etwas erwidern, doch seine Kehle verlie? nur ein heiseres Kr?chzen. Schlie?lich nickte er stumm und hielt seine Hand hin, damit die Andere ihm aufhelfen konnte. Die schwarze Gestalt aber sch?ttelte den Kopf und trat einige Schritte zur?ck. ??Aus eigener Kraft muss er es schaffen ? nur dann ist er w?rdig und bereit f?r die Aufgabe die ich ihm stellen will? ? so spricht mein Herr.?
Jagon sah sie einen Moment lang ausdruckslos an, dann nickte er m?hselig und stemmte sich hoch. Es kostete ihn all die Kraft die noch in seinem ausgezehrten K?rper schlummerte um auf die Beine zu kommen, und als er schlie?lich stand schwankte er bedrohlich. Doch er hielt sich aufrecht und folgte der Frau mit den dunklen Haaren, die ihm voranging. Als sie an Decado vorbeikamen stoppte Jagon und deutete auf den im Delirium daliegendenden Freund. Die Frau sch?ttelte den Kopf. ?Euch sollen wir retten ? sonst war von niemandem die Rede.?
?Wenn er hierbleibt,? kr?chzte Jagon mit trockenem Hals, ?dann bleibe ich auch und Euer Vorhaben ist... ist gescheitert...?. Wie um seine Worte zu bekr?ftigen sank der ehemalige Paladin in die Hocke und zerrte an der Schulter seines Freundes. Die Lippen der Schwarzen Kriegerin umspielte ein kaum sichtbares L?cheln. ?Euer Onkel hat gut gew?hlt. Ihr seid f?rwahr Tardukai, wenn ihr lieber sterbt als einen Bruder zur?ckzulassen. Alaris! Helft mir hier!? Der j?ngere und kleinere der beiden M?nner an der T?r nickte und kam herangeeilt. Zusammen mit der Frau half er dem hilflos vor sich hinstammelnden Decado auf und lud sich die ausgemergelte Gestalt kurzerhand auf den R?cken.
?Wohin... bringt ihr uns??, fragte Jagon, der noch immer all seine Willenskraft aufbringen musste um einen Fu? vor den anderen zu setzen.
?Zu meinem Herrn nat?rlich. Er erwartet Euch schon seit langem.?
?Und wo... wo ist Euer Herr??
?Auf der Insel nat?rlich.?
?Insel...?, murmelte Jagon, und schloss f?r einen Moment die Augen. Also w?rde er dorthin zur?ckkehren wo alles begann. ?Siebenwind...? Wieder gruben sich die langen Fingern?gel in das Fleisch seiner Hand, doch diesmal k?mmerte er sich nicht um das Blut das daraus hervorschoss. ?Siebenwind,? wiederholte er. D?ster folgte er seinen Befreiern, die ihn nach drau?en f?hrten. Siebenwind...
__________________ "Optimismus ist, bei Gewitter auf dem h?chsten Berg in einer Kupferr?stung zu stehen und ?Schei? G?tter!? zu rufen."
Feminismus ist nur dazu da, um h?ssliche Frauen in die Gesellschaft zu integrieren." (Charles Bukowski)
|