Schmerz
Woher kommt es eigentlich dass wir Menschen glauben dass Dieser oder Jene f?r uns bestimmt ist? Dass es so was wie ?Liebe? gibt, und nicht nur eine Ansammlung von hormonellen Reaktionen auf die Pheromone und eine zuf?llige ?berschneidung mit unseren eigenen Neurosen beim jeweils Anderen? Ist das mit der Liebe etwas was uns von anderen eingefl?stert wird? Klar ist doch: Die Liebe von Eltern zum Kind ist ? im Normalfall ? etwas ganz nat?rliches. Aber ist das Liebe? Oder nicht vielmehr ein psychologischer Trick der Natur, damit die Eltern den Nachwuchs besch?tzen und daf?r sorgen dass die n?chste Generation Mensch ?berlebt?
Was w?re wenn jemand isoliert aufgewachsen w?re und das ganze Konzept von Liebe noch nie geh?rt h?tte ? k?nnte der sich verlieben? Oder w?rde er einfach nur von sich selbst sagen: ?Ich will diese Person da; ich will mich physisch mit ihr vereinigen und vielleicht noch bisschen Zeit mit ihr verbringen, aber dann ist auch gut!?? Ich wei? es nicht?
Vielleicht ist das auch gar nicht wichtig, aber woher kommt es eigentlich dass uns nur diejenigen wirklich wehtun k?nnen die wir lieben? Lassen wir diese Leute einfach n?her an uns heran und dann tut es mehr weh wenn jemand aus unserem n?chsten Umfeld uns wehtut? Oder ist es manchmal nicht vielmehr so dass jemand der uns gut kennt auch viel eher wei? wo man den Hebel ansetzen muss um die maximale Wirkung zu erzielen?
In Beziehungen zwischen zwei Partnern ist es nat?rlich oft anders gelagert. Solange beide ineinander verliebt sind ? oder, wenn man das Konzept von Liebe ablehnt, glauben verliebt zu sein ? kann man einander so vieles antun was extrem weh tut ? viel mehr als uns ein Fremder antun k?nnte egal wie sehr er sich anstrengt ? aber trotzdem verzeihen wir das oft, und das Gef?hl der Zusammengeh?rigkeit ist hinterher noch viel st?rker als vorher. Dumm nur wenn einer der Partner irgendwann genug hat und den anderen nicht mehr will, dieser jedoch unbedingt an seinem Partner festhalten will ? aus welchem Grund auch immer, sei das jetzt aus Gewohnheit, oder weil er glaubt er findet nichts ?besseres?, oder weil er tats?chlich glaubt dass es so etwas wie den einen, einzigen Menschen gibt der f?r ihn bestimmt ist, und dass nur dieser ihn ausf?llen kann. Jedenfalls: Plus und Plus zieht sich an, Minus und Minus zieht sich zwar nicht an, aber es ist sich einig dass es sich abst??t. Plus und Minus hingegen ist die traurigste Kombination? w?hrend der eine noch ein Plus-Plus zum Ziel hat, hat der andere sich l?ngst in ein Minus-Minus gefl?chtet, entweder weil er jemand anders liebt, oder weil der bisherige Partner etwas schlimmes getan hat, oder ? was es auch geben soll ? weil die Liebe ganz langsam Tag f?r Tag gestorben ist. Was machen also die beiden nun? Die Rollen sind klar verteilt: Minus wird daf?r sorgen dass Plus sich dreht, wie beim Reversi. Er kann es auf die sanfte Tour versuchen ? ?Tut mir leid, ich liebe dich einfach nicht mehr, lass uns Freunde bleiben? ? oder auf die harte ?Warum gerade mit deinem besten Freund? Naja, ich dachte halt dann verstehst du es am leichtesten?. Auf der Gegenseite wird Plus nat?rlich alles tun um das Gegenteil zu erreichen. ?Bitte lass es uns noch mal versuchen, diesmal strengen wir uns an und dann wird das wieder?, ?Gib mir ne Woche Zeit und dann sehen wir weiter wie es aussieht?, oder im Extremfall: ?Komm zu mir zur?ck oder ich bring mich um!?
Mal unabh?ngig davon wie man diese Strategien bewertet ? besonders die von Plus sind einerseits zwar sehr erniedrigend, k?nnen aber vielleicht gerade durch diese Selbsterniedrigung auch etwas bei Minus erreichen ? im Idealfall setzt sich einer durch, und der andere ?ndert seine Meinung. Der worst case ist nat?rlich wenn jeder an seiner Polung festh?lt (oder, ganz krass, wenn BEIDE ihre Polung gleichzeitig ?ndern, dann wird?s besonders tr?nenreich). Was machen die dann? Vermutlich wird der eine zum Stalker und bel?stigt Minus immer und immer wieder, oder er sublimiert seine Liebe in Hass und versucht daraufhin seinem Ex-Partner zu schaden. Dieser wiederum wird irgendwann, wenn er einsieht dass Plus keine Ruhe gibt, wohl die Rei?leine ziehen und ihm k?nftig wo immer m?glich aus dem Weg gehen. So ein st?ndig auftauchender Ex-Partner ist ja auch nicht gerade f?rderlich f?r neue Beziehungen, richtig?
Fest steht jedenfalls: Es wird immer mindestem einem von ihnen das Herz brechen. Nur: Wie bricht man ein Herz stilvoll? Ist es besser das kurz und schmerzlos und zu machen ?Sorry, ich lieb dich nicht mehr, und jetzt lass mich in Ruhe, ich bin weg!?? Das ist hart, und wohl nur sehr schwer f?r den anderen zu akzeptieren. Andererseits ist es ein klarer, sauberer Schnitt. Wieder andererseits wirft man die T?r damit so fest zu, dass vielleicht der Rahmen Schaden nimmt?
Oder ist es doch besser es auf die sanfte Tour zu probieren? ?Du, h?r mal, ich will dir nicht weh tun, aber ich f?hle nichts mehr f?r dich. Ich wei? das ist schwer zu akzeptieren, aber im Moment m?chte ich dich nicht mehr sehen. Vielleicht ?ndert sich das irgendwann wieder, aber jetzt ist erstmal Schluss?. Der Vorteil liegt auf der Hand, statt nem Schlag ins Gesicht ist es ?nur? ne Ohrfeige, und zieht den Anderen hoffentlich nicht gar so weit runter. Die Gefahr daran ist aber nat?rlich dass der Abservierte bei so einer sanften Methode die ganze Tragweite m?glicherweise nicht richtig erfasst; dass er sich noch Chancen auf Fr?chte ausrechnet da wo l?ngst kein Kirschbaum mehr sondern nur noch eine verk?mmerte Weide steht. Ist die sanfte Methode also in Wahrheit sowohl f?r Minus (der dann l?nger ?Arbeit? damit hat Minus klarzumachen dass die T?r zu ist) als auch f?r Plus (der dann ewig dem Ex-Partner hinterher schmachtet statt sich nach was anderem umzusehen, oder wenigstens seine Niederlage zu verarbeiten) die schlechtere Wahl? Vermutlich gibt es darauf keine pauschale Antwort; jeder Charakter ist anders, und w?hrend der sanfte Plus vielleicht sogar noch einen gewissen masochistischen Lustgewinn daraus ziehen kann seinem verflossenen Partner nachzuschmachten, hat der harte Macho es vielleicht lieber kurz und schmerzlos (schmerzvoll?), andere M?tter haben ja auch sch?ne Abk?mmlinge. Kein Wunder also dass eine Patentl?sung zum Schlussmachen so verlockend wie unrealistisch ist.
Die Gretchenfrage in meinen Augen ist aber nicht unbedingt die Art wie man Schluss macht, sondern die Perspektive die man dabei er?ffnet. Wenn ich den Partner verlasse weil ich mich in jemand anders verliebt habe dann bleibt f?r mein Gegen?ber wenig Raum f?r die Hoffnung, dass ich es mir in den n?chsten zwei Wochen die ich allein zu Hause in Ruhe und Klausur mit mir selbst noch einmal anders ?berlege. Verlasse ich ihn aber nur weil ich sage ?ich liebe dich nicht mehr?, dann kommt es auf das Gegen?ber an wie es reagiert: Ist man extrem stolz dann ist das vielleicht die Beste Art Schluss zu machen: ?Ok, wenn du mich nicht mehr liebst dann liebe ich dich ab sofort auch nicht mehr, Pfff, such ich mir wen anders?. Ist man hingegen eher gr?blerisch, dann geht das gro?e orakeln los. Dann wird in jeder ?u?erung, jeder Geste, ja sogar in jedem Blick den man vom (Ex-)Partner erhascht nach dem momentan Stand geforscht ? ?Hat er es sich anders ?berlegt? Ist das ein Zeichen an mich? Oder sind die Gef?hle noch mehr erkaltet??. Mit Sicherheit eine knifflige Zeit, aber wenn ich der Typ daf?r bin dann brauche ich vielleicht diese Art der ?sanften Entw?hnung? wo die Hoffnung jeden Tag ein kleines bisschen stirbt, statt dass sie mir auf einmal aus der Brust gerissen wird.
Aber, mal eine Frage auf die ich keine Antwort parat habe: Ist es ?berhaupt erstrebenswert eine Beziehung mit wenig Schmerz hinter sich zu bringen? Ein Kind merkt sich dass die Herdplatte heiss ist am besten wenn es drauffasst, nicht wenn es dr?berlangt. Schmerz kann gut sein. Schmerz zeigt dass wir noch am Leben sind (auch wenn er uns manchmal dazu bringt dass wir genau das ?ndern wollen). Was passiert wenn wir solche Schmerzen erfahren? Erkalten wir innerlich ? bauen wir eine Mauer um unser Herz und lassen niemanden mehr dr?ber, jedenfalls nicht so weit dr?ber wie den letzten Partner? Oder fl?chten wir uns Hals ?ber Kopf in die n?chste Beziehung, bet?uben den Schmerz den wir f?hlen mit der (vielleicht sogar zutreffenden) Illusion dass das einzige was ihn lindern kann der n?chste Partner ist, auch wenn wir den vielleicht gar nicht so sehr lieben sondern ihn, brutal ausgedr?ckt, nur als Aspirin missbrauchen? Und was ist dann mit der neuen Beziehung? Ist das dann ?berhaupt eine Plus-Plus-Beziehung zu Beginn ? oder nicht vielmehr ne Plus-Plusminus-Beziehung? Vielleicht sogar ne Plus-Null-Beziehung, also streng genommen gar keine? Und wie erkennt man diesen Sondertypus, der sich ja unter Umst?nden in eine ?richtige? Beziehung umwandeln l?sst? Und ? die wohl interessanteste Frage ? kann man durch so was gl?cklich(er) werden? Vermutlich nicht ? oder doch? Wenn ja dann w?re das nat?rlich toll f?r all die abservierten Plusse da drau?en ? immer vorausgesetzt sie finden jemanden der sich gewisserma?en als Pflaster benutzen l?sst (vielleicht sogar lassen will?). Aber setzt man damit nicht in gewisser Weise denselben verh?ngnisvollen Kreislauf wieder und wieder und wieder in Gang? Ein Perpetuum Mobile des seelischen Schmerzes, immer unterbrochen von wunderbaren Plus-Plus-Phasen. In gewisser Weise erinnert das doch an die buddhistische Lehre von Nirvana, oder? Wiedergeburt, immer und immer und immer wieder in dieselbe Welt. Die Welt ist Schmerz. Die Welt ist unrein. Nur wenn wir die h?chste Form der Reinheit (die h?chste Form der Liebe / des Plus-Plus?) erlangen, k?nnen wir den ewigen Kreislauf aus Tod und Wiedergeburt sprengen und ins alleinseeligmachende Nicht-Sein eingehen.
Vielleicht sollte man das mal in der Disco versuchen, wenn jemand einem gef?llt. ?Du, entschuldige mal, aber: M?chtest du mein Ticket ins Nirvana sein?? Wird vermutlich nicht gut ankommen. Aber wenn doch: Haltet euch diese Person warm, das k?nnte ein ganz besonderer Mensch sein.
__________________ "Optimismus ist, bei Gewitter auf dem h?chsten Berg in einer Kupferr?stung zu stehen und ?Schei? G?tter!? zu rufen."
Feminismus ist nur dazu da, um h?ssliche Frauen in die Gesellschaft zu integrieren." (Charles Bukowski)
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